MORITZ AUGUST VON THÜMMEL. Ein Dossier
(n gewisser THÜMMEL;
(wirsDn noch nich kenn' ...  (6)


Moritz August von Thümmel wurde den 27. Mai 1738 zu Schönfeld, einem Rittergute bei Leipzig, geboren. Sein Vater, Carl Heinrich, war Chursächsischer Landkammerrath und seine Mutter eine geborene v. Böhlau aus dem Hause Wünschendorf. Er war unter vierzehn Geschwistern der zweite Sohn. Seine Eltern waren im schlesischen Krieg um einen großen Theil ihres Vermögens gekommen; trotz dem blieb gute Erziehung ihrer Kinder ihre eifrigste Sorge, und wenn der Unterricht hie und da mangelhaft war, so lag dieß nicht an ihnen. Schon im zwölften Jahre gab unser Thümmel einen Beweis von seltener Geisteslebendigkeit. Sein Hauslehrer, der sich um eine Pfarre beworben, hatte eine Probepredigt ausgearbeitet. Sie wurde, bevor sie auswendig gelernt war, unglücklicherweise von einem Raben, der Thümmeln und seinen Geschwistern als Spielzeug diente, in tausend Stücke zerrissen. Der gute Candidat war zu beschränkt, als daß er in der kurzen Frist das mühsame Werk hätte wiederherstellen können; da half ihm der junge Moritz aus der Verlegenheit; er verfertigte schnell eine Predigt, die der geängstigte Lehrer hielt und womit er die Pfarre errang. Es war dieß wohl Thümmels erste Arbeit.

Im Jahr 1754 kam Thümmel auf die Schule zu Roßleben in Thüringen. Er widmete sich hier mit Fleiß und Erfolg den Wissenschaften; die Lehrer gewannen ihn und er die Lehrer lieb. Hier besang er 1755 den Geburtstag seiner Mutter; diese und in den folgenden Jahren bei ähnlichen Anlässen gedichteten Verse bewahrte er sehr sorgfältig auf; in die Sammlung seiner Gedichte ist aber nichts davon übergegangen.  (2)

Thümmel: »Da Sie mein erster Leser sind, lasse ich auch die Bitte, die ich gern an alle meine Leser thun möchte, zuerst an Sie ergehen: das Werk mit einigem Bedacht zu lesen, weil ich glaube, daß es sonst leicht geschehen kann, daß man eine Kleinigkeit oft übersieht, die doch zum Zusammenhang mit dem Folgenden nöthig ist, und Dunkelheiten findet, die nicht allemal in der Flüchtigkeit des Verfassers, sondern des Lesers liegen.« (2)

Lichtenberg schreibt 1791 an Sömmering: »Ich müßte mich sehr irren, oder Einiges im Buche, zumal unter den Versen, läßt sich schlechterdings nicht besser machen. Noch besser wäre vermuthlich nicht mehr für uns. Als ich es las, wußte ich vom Verfasser nichts, und da wünschte ich Deutschland sehr, daß es ein noch unbekannter seyn möchte. Welcher Ausflug, so auszufliegen! So ist es aber eine vielleicht zum letztenmale zurückkehrende Taube, die dieses Blättchen mitbrachte, das allemal ein Land der Verheißung nahe hoffen läßt. Ich habe manche Verse sechs=, siebenmal gelesen, blos die Applicatur zu bewundern, mit der er sich gleichsam vorsätzlich durch Parenthesen den Weg zu versetzen scheint, um hernach wie die glätteste Schlange durchzuglitschen, ohne auch die kleinste Faser von Sinn und Reim hinter sich zu lassen. Man sagt, Boileau habe seinen zweiten Vers immer zuerst gemacht; Thümmel ist weiter gegangen: er machte erst den dritten, dann den zweiten, und dann den fünften, oder er hat sie, welches mir wahrscheinlicher ist, wie ein Schöpfer, alle zugleich gemacht.« (2)

Jakobs Beurtheilung der Wilhelmine und der Reise ins südliche Frankreich ist dieser schönen Werke vollkommen würdig, und wir glauben den Leser zu verbinden, indem wir dieselbe hersetzen: »Wenige Schriftsteller haben von ihrer ersten Erscheinung an eine lange Reihe von Jahren hindurch die Gunst des gebildeten Publikums so entschieden genossen, als der Verfasser der Wilhelmine, der Inoculation der Liebe und der Reise ins südliche Frankreich. Wenn man diese Werke nennt, so ruft man jedem ihrer Leser aus alter und neuer Zeit einige der genußreichsten Stunden zurück, und bezeichnet zugleich einige merkwürdige Stationen der deutschen Bildung auf einem neuen Gebiete. Die Poesie, welche für die höhern Stände lange nur eine Art von gefälliger Freundin war, die für ihre Unterhaltungen eben nicht geliebt, aber belohnt wurde, und, wenn sie nicht feil werden wollte, sich gern, um alle Verwechslung unmöglich zu machen, in den cynischen Mantel einer spröden Tugend einhüllte, trat durch Thümmel in dem Glanze edler Würde und schönen Anstandes auf, ohne Steifigkeit und höfische Leerheit, und mit allen Grazien zarter Leichtigkeit, zierlichen Witzes, unschuldiger Schalkheit, und reizender Tändelei umgeben, die der Weltgebrauch zwar nicht schafft, aber erzieht. Zum erstenmale erschien in der Wilhelmine die Hofwelt selbst, von der sichern Hand eines Kenners croquirt, ohne Übertreibung und dennoch komisch, wie leere Larven, die sich in geistreich gruppirten Arabesken um die Idylle einer ächt deutschen Magisterliebe ziehen. Wie die Heldin des Gedichts, so erschien das Gedicht selbst, ein Kind deutscher Natur und Sitte, durch Weltgebrauch gebildet, durch Erfahrung gewitzigt, eine verschönerte Blüthe, welche die Lust des Hofes aufgehaucht, aber nicht vergiftet hat, reizend durch natürliche Anmuth und gesundes Gefühl, durch leichten Witz und gebildete Sprache. Diese schönen Eigenthümlichkeiten, die ihm alle Stimmen gewannen und seinen Ruf auch zu den Fremden brachten, denen es aber selbst bei einer vollkommenen Dollmetschung dennoch in seiner ächten Nationalität fast ein Räthsel bleiben mußte, wiederholten sich in größerer Vollkommenheit, als nach einem dreißigjährigen, nur selten unterbrochenen Stillschweigen die befreundete Stimme von Neuem ertönte, und der geistreiche, vielgebildete, tieffühlende ' R e i s e n d e ' das Tagebuch seiner absichtlichen Wanderungen und unabsichtlichen Irren vor den Augen des Publikums aufschlug. Hier nun erscheint jede Seite mit gewählten, schimmernden Farben bedeckt, und von den Orangenwäldern der Provence zieht sich der strahlenreiche Irisbogen mit allen seinen magischen, Phantasie und Gefühl fesselnden Bändern nach Deutschland herüber, die Königin des Tags in Millionen Tropfen spiegelnd, und durch den tiefen Grund des dunkeln Gewölbes erhöht, das seinen Teppich hinter ihm aufgerollt hat. Wie das Land, das mit seinen sonnigen Fluren die schönsten und rührendsten Scenen dieses Gedichts, wie ein magischer Schauplatz umringt, ist das Gedicht selbst mit zarten und duftreichen Blüthen bestreut, die in der Tiefe ihrer Kronen herrliche Früchte bergen, und wenn der schimmernde, spielende Frühling vorüber ist, dem innern Auge ein neues, goldenes Hesperien zurücklassen. Auch hier werden, wie dort, seidene Fäden - vielleicht nur bisweilen etwas zu lang gesponnen, und in dem zarten, weichen Gespinnst liegt Psyches Ebenbild, das die eigennützige Lüsternheit bloß neugieriger Leser tödtet, die Neugierde der sinnigen und gemüthvollen aber zum frischen Leben erweckt. Wie sich in dem ganzen Werke die wundersamste und gediegenste Prosa mit den inhaltreichsten und sinnvollsten Versen durchflicht, und Beredsamkeit und Poesie, wie Liber und Libera, einen gemeinsamen, herrlichen Triumphzug feiern, so ist auch in ihm Alles, was aus Phantasie und Gemüth aufblüht, Ernst und Scherz, tiefe Empfindsamkeit, lebendige Sinnlichkeit, anmuthiger Spott, zarte Liebe, begeisterte Freundschaft, anspruchslose Weisheit und unschuldige Thorheit in einem dichten, duft= und blumenreichen Kranz verschlungen. Indem der kranke, verstimmte, menschenscheue Reisende seine Gesundheit wieder sucht, findet er zuerst sich selbst in seinem Herzen wieder, indem sich sein inneres Wesen, von dem schönsten Himmel und der anmuthigsten Natur berührt, unter wohlwollenden und unschuldigen Menschen entfaltet, und die aufgehobene sittliche Harmonie - wie die irdische in freier Luft - wieder zurückkehrt. Die interessante Entwicklung der Persönlichkeit des Reisenden macht den Mittelpunkt des Werkes aus; aber in dem Umkreise desselben schwingen und drängen sich die mannigfaltigsten Gedanken, die reichsten Scenen, und eine Fülle unschätzbarer Zugaben, die in seinen freundschaftlichen Ergießungen, ihm fast unbewußt, aus dem überströmenden Herzen fallen. Eine bunte Welt von Menschen aller Art und aller Stände, jeder mit den Farben der Wahrheit bekleidet, zieht vor unsern bezauberten Blicken vorüber; eine reiche Gallerie, die das einfache Kind der Natur und Unschuld, und alle Arten und Stufen der Bildung und Verbildung mit gleicher Treue und Lebendigkeit aufstellt. Nicht minder mannigfaltig sind die Begebenheiten, die Situationen und Gruppen, und wenn in diesem Zaubergarten der interessantesten Erscheinungen etwas einförmig erscheinen könnte, so wäre es das kunstvolle Verstecken des Ausgangs, der labyrinthischen Pfade, und die Ueberraschungen, die uns am Ende eines jeden Belvedere erwarten. Da geschieht es denn, daß, indem man gewöhnt wird, die Erwartung selbst zu erwarten, der beste Genuß, wie ein leichter Glimmer, auf dem Wege abgewischt und verloren wird. Es ist indeß immer weit gefahrloser, nach dem System des Marquis von St. Sauveur, mit dem folgsamen Leser, als wie Jener mit dem spröden Leben zu spielen, und der Reisende ist ein so geistreicher und gefühlvoller Begleiter, daß wir an seiner Seite leicht den eben gespielten Betrug vergessen und uns mit der vorigen Unbefangenheit seinen Launen zu neuen Täuschungen hingeben.« (2)

Ein Hypochonder auf der Flucht vor sich selbst, humorvoll dargestellt und charakterisiert durch seine Selbstironie - das ist Wilhelm, der Held von Moritz August von Thümmels Roman "Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich".  (9)

Den Ruhm der schönsten, oft ganz homerisch verkörperten Prose teilt Thümmel vielleicht mit wenigen, unter welche Goethe und Sterne, aber nicht Wieland gehören, der die seinige durch Verkehr mit den französischen Allgemeinheiten entfärben lassen. Man könnte oft Thümmel ebensogut malen als drucken; z.B.: »Bald fuhr der Amorskopf eines rotwangigen Jungen zu seinem kleinen Fenster heraus, bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegengerollt, hinter dem ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen zu geben.« Bloß an der letzten Zeile vergeht das Gemälde. Ebenso schön sinnlich ists, wenn er von den Empfindungen spricht, die man hat, »wenn die Deichsel des Reisewagens wieder gegen das Vaterland gekehrt ist«  (4)

Den Gehalt seiner Werke aber gab Wieland das eigene Leben, das in seiner interessanten Entwicklung von sittlichem Rigorismus zu schrankenloser Sinnlichkeit und endlich zu harmonischer Vereinigung des Sinnlichen und Geistigen sich in allen seinen Romanen spiegelt, eine Entwicklung wie sie auch Thümmels Reisender nimmt. Gervinus Bemerkung: Thümmel führt den Weg, den Wieland von der Schwärmerei zur Sinnlichkeit geführt hatte, gerade zurück ist daher ganz unzutreffend; denn Wielands Weg geht über die Sinnlichkeit hinaus, Thümmels Weg beginnt weder mit der Sinnlichkeit noch endet er bei der Schwärmerei. Wir sehen sogar in Wielands »Agathon« eine fast parallele, stufenweise Entwicklung wie in Thümmels »Reise« sich vollziehen. Gleich Wilhelm zieht der Held jenes Romans unbefriedigt in die Welt hinaus, auch er unkundig der Menschen und von strengen Grundsätzen. Auch ihm wird (durch Hippias) der Rat gegeben, in der Natur und Sinnlichkeit das Glück zu suchen. Auch er gelangt durch Verirrungen endlich zu geläuterter Lebensweisheit.
Schuf Wieland zuerst, besonders im »Agathon« indem er rückhaltlos in seinen Helden das eigene Werden durch alle Verirrungen hindurch darlegte, in Deutschland den psychologischen Roman, so hob Thümmel diesen in selbständiger Fortbildung auf eine höhere Stufe. Was Wieland uns in endlosen Betrachtungen mehrerer Werke, in denen oft alle Handlung untertaucht, zu sagen hat, das weiss uns jener in einem einzigen Roman lebensvoll zu verdeutlichen. Und wie in der Kunst epischer Anschaulichkeit, so steht Wieland auch in der Darstellung naiver Leidenschaft, an echtem Gefühl für wahre Seelenkämpfe hinter Thümmel zurück.  (8)

Die in sinnlichen Schilderungen damals übliche Art, an den bedenklichsten Stellen abzubrechen oder durch aufhaltende Betrachtungen die Phantasie zu reizen, finden wir auch bei Thümmel. Doch gerade in solchen Partien weiss er wiederum dem Verstande so viel Beschäftigung zu bieten (...), dass (...) nur eine verderbte Phantasie auflodern würde.  (8)

Wie es hinter dem Mieder beschaffen und unter dem Röckchen, - / Lehret, wisst ihr es nicht, zierlich der reisende Freund.  (5)

»Ein so festlicher Tag als der heutige,,« wendete ich mich an meinen Nachbarn, in dem ich zugleich ein Glas Vin de St. George reichte, »sollte alle Feindschaften aufheben - alle Gefangenen los und ledig lassen. - Allen Sündern« übersetzte ich ihm aus Schiller - »soll vergeben, keine Hölle soll mehr sein.« (1)

-Oder: THÜMMEL, ('ein EroTicker' wenn Du so=willSD; gewiß), weiß, im 1. Buch Seiner mittäglichen Reise, von einer 'Frau Wirtin' zu berichtn, deren 'Gasthof zum Schwarzen Bock' nur dadurch wieder in Aufnahme kam, daß sie eine ungewöhnliche Wendung id Ordnung der Natur vornahm. 'Non erubescit' dachte sie; ließ ein Paar große=blaue Augen & eine Nase da=rauf malen; und steckte, sobald es lebhaft auf den Gassen ward, diese wunderliche Figur, (nebm die, zum Überfluß, re & li, ein Paar blasnde Trompeter gestellt waren), zum offenen Fenster hinaus.' usw. - ?";  (6)

Thümmel durfte es ruhig wagen - - was Wieland nicht getan - -, die Lektüre seiner Werke seinen Kindern zu gestatten.  (8)

Hier stehe noch Einiges, was Thümmel selbst über sein Buch geäußert. Er schreibt an Weisse (...) im Februar 1794: »Es ist mir sehr daran gelegen, daß der fünfte Theil die beiden vorhergehenden begleite, damit der Gedanke, den ich bis dahin ausgesponnen habe, nicht unterbrochen bleibt, - daß nämlich aus Aberglauben Verderbniß der Sitten, und daraus Umsturz des Staates erfolge, um einer andern Generation möglich zu machen, der Natur wieder zu ihren Rechten zu verhelfen. Die Gräuel, die sich kürzlich in Avignon ereignet haben, kommen meinem Texte gar sehr zu Hülfe und geben meiner Prophezeiung vom Jahr 1786, womit ich diesen Theil endige, ein gewisses Ansehen, ob ich sie gleich nach Art der Propheten erst hinterher gemacht habe.« (2)

Wenn ein Mensch, der aus irgendeinem Grunde sein seelisches Gleichgewicht verloren hat, zu der Überzeugung gelangt, daß ein Leben unter den bisher gewohnten Bedingungen und in der alten Umgebung nicht mehr möglich ist, und er sich daher entschließt, diesen Lebensraum zu verlassen und sich auf Reisen zu begeben, so mag der Aufbruch zu dieser Reise in manchen Fällen durchaus das Aussehen einer wirklichen Flucht mit panikartigem, ziellosem Davonhasten haben. Andererseits kann es sich bei der Abreise aber auch um einen ruhigen, rationalen und nach reiflicher Überlegung als beste Lösung erkannten Entschluß handeln. Selbst wenn ein solcher Aufbruch z.B. jede Ähnlichkeit des Entweichens aus einem Gefängnis verloren hat, so bleibt das Fluchtartige dieses Reiseantritts dennoch grundsätzlich erhalten: Der Mensch entscheidet sich auch hier, den auf ihn eindringenden Kräften nicht aktiven Widerstand entgegenzusetzen, sondern ihrem Druck durch passives Nachgeben auszuweichen.  (9)

Nicht so einfach zu erklären ist dagegen jene andere Gemütserkrankung, die Schwermut oder Melancholie, in die ein Mensch scheinbar ohne ersichtlichen Grund verfällt. Seine düstere Seelenverfassung ist weder durch den Tod eines ihm nahestehenden Menschen noch durch ähnliche ihn persönlich treffende traurige Ereignisse hervorgerufen worden. Und dennoch kann seine pessimistische, gedrückte und ängstliche Lebensgrundstimmung in Verbindung mit innerer Ruhelosigkeit, einem Gefühl der Ermattung und Langeweile und eine allgemeine Unzufriedenheit mit sich selbst und der ganzen Welt nicht selten so ernste Formen annehmen, das er nicht nur psychisch, sondern auch physisch erkrankt. Die Menschen des 18. Jahrhunderts kannten diese weitverbreitete Krankheit unter dem Namen 'Hypochondrie'. Man nannte sie so, weil die Kranken meist Schmerzen in den 'Hypochondern' hatten, womit im Griechischen die Gegend unter dem Rippenbogen gemeint ist. Immer wieder in der Geschichte der Medizin ist versucht worden, die Krankheit in einem bestimmten Organ des menschlichen Körpers zu lokalisieren. Im 18. Jahrhundert faßte man die Hypochondrie vor allem als eine Erkrankung des Magens oder der Milz auf, weshalb sie auch als 'Milzsucht' bezeichnet wurde. Erst in jüngerer Zeit wurden die psychischen Ursachen in ihrer ganzen Bedeutung für die hypochondrischen Erkrankungen erkannt.  (9)

Am 28. Oktober 1817 bettete man in dem kleinen Dorf Neuses bei Coburg einen alten Herrn zur letzten Ruhe: Seine Exzellenz, den Herzoglich Sachsen-Coburg-Saalfeldischen Geheimen Rat Moritz August von Thümmel, der, im achtzigsten Lebensjahr stehend, zwei Tage vorher in der nahen Residenzstadt verstorben war. Als sich die Gruft über dem Sarg geschlossen hatte, schrieb der Pfarrer von Neuses in das Kirchenbuch: »Der Hochselige war durch vorzügliche Eigenschaften des Herzens und Geists, durch sehr schätzbare Schriften, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden und Ihm die ehrenvollsten Bekanntschaften erwarben, geachtet, geehrt und vor vielen ausgezeichnet. Das Andenken des Guten, des Edlen bleibt in Segen.« (7)

Und überdenken wir das Ganze seines Lebens, so müssen wir ihn doch den glücklichen Sterblichen beizählen. Alles vereinigte sich, um ihn zu lehren, daß das Leben werth sei; und darüber wünscht doch der Verständige im Reinen zu seyn. Er würde wie Fränklin kein Bedenken gefunden haben, das Leben, so wie es ihm übertragen worden, noch einmal ebenso zu übernehmen. (...) Er hat auch viel gelitten, und den Wechsel des Glücks in manchen Gestalten erfahren; aber seine fröhliche Laune, die auf Grundsätze sich stützende Zufriedenheit mit seinem Schicksal, ließen nicht zu, daß irgendein Ungemach ihm das Leben verdunkelte.  (3)


B ü c h e r :

(1) Moritz August von Thümmel: Sämmtliche Werke, Leipzig 1853/54
(2) »Nachrichten von Thümmels Leben«. (= Kurzfassung von [3] - Entnommen der Ausgabe der »Sämmtlichen Werke« in acht Bänden; erschienen 1853/54 in der G. J. Göschen´schen Verlagsbuchhandlung in Leipzig. Die »Nachrichten ...« enthalten folgende Anmerkung: In dieser kurzen Biographie soll weniger auf die einzelnen Umstände seines im Ganzen einfachen und wenig bewegten Lebens Rücksicht genommen, als vielmehr die Entstehung seiner Schriften besprochen werden, welche den Verfasser als einen der geistreichsten Menschen bezeichnen und der deutschen Literatur zur größten Ehre gereichen.
(3) Johann Ernst von Gruner: Thümmels Leben, Stuttgart 1820 (= Band 7 von Thümmels »Sämmtlichen Werken«)
(4) Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, in: Jean Paul: Werke. Fünfter Band, München, 4. Auflage, 1980
(5) Friedrich Schiller: Xenien und Tabulae Votivae (1795-1796) von Schiller und Goethe
(6) Arno Schmidt: Zettels Traum, Stuttgart 1970
(7) Horst Heldmann: Moritz August von Thümmel. Sein Leben - Sein Werk - Seine Zeit. Erster Teil: 1738-1783, Neustadt/Aisch 1964
(8) Richard Kyrieleis: Moritz August von Thümmels Roman "Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich", Marburg 1908
(9) Rolf Allerdissen: Die Reise als Flucht. Zu Schnabels "Insel Felsenburg" und Thümmels "Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich", Bern-Frankfurt/M. 1975